Workshop für Jazz Gitarre in Süd-
Frankreich 2005: Wie es wirklich war
Jazz Gitarre lernen, Jamsessions spielen, und noch dazu Urlaub machen, ist so etwas möglich? Es ist, und zwar in der Provence, genauer auf dem Klostergelände der Prämonstraenser von St. Michel de Frigolet, ganz in der Nähe von Avignon. Der alljährliche Workshop von Sonntag Gitarrenbau und Ulrich Hoffmeier vom Palastorchester wurde kurzerhand von Augsburg nach Südfrankreich verlegt und mit Trefor Owen ein kompetenter Co-Dozent verpflichtet. Schließlich schloß sich auch noch mein Freund Lenny Pogan aus New York als weiterer Gastdozent dem Vorhaben an.
Den Entschluß faßten Uli und ich nach nur kurzen Gedankenspielen nach dem Kurs 2004, wobei keinem mehr klar ist, wie wir daraufgekommen sind. Alkohol war nicht im Spiel. Trotzdem waren wir begeistert von der Idee, eine lässige Woche im Sonnenschein der Provence zu verbringen, mit netten Menschen, die genauso wie wir die Jazz Gitarre lieben.
Das Kloster von Frigolet
So war die erste Herausforderung, Örtlichkeiten aufzutreiben die unseren Anforderungen entsprachen: Gemütlich muß es sein, Platz für Musik und Tanz braucht es und der Zugang zu den kulinarischen Leckereien der Provence muß gewährleistet sein. Uli hatte zum Glück schon vorab das Kloster von Frigolet ausgekundschaftet. Zwar stand noch ein Schlösschen in Südtirol zur Auswahl, aber die Entscheidung fiel dann auf das Gelände der frommen Brüder von Frigolet.
Im Verlauf der Kurswoche stellte es sich heraus, daß diese Wahl gut getroffen war. Bis auf kleine Abstriche beim Hotel war das Gelände optimal für unsere Unternehmung. Der Hotelpreis war günstig, es liegt wunderbar romantisch und zurückgezogen auf einem Bergrücken zwischen Avignon und Tarascon. Und es war ein Bistro da, das die geforderten ess- und trinkbaren Köstlichkeiten anbot und die Räume für Kurs, abendliche Sessions und Abschlußkonzert zur Verfügung stellte. Leider war der Service des Hotels bei den gelegentlichen Abendessen und dem Frühstück etwas zusehr auf bescheidene Pilgergruppen ausgerichtet. Aber das war der Preis für den günstigen Zimmerpreis und wurde von der Begeisterung von Gil und Brigit, den Bistrowirten, durch ihr Engagement beim Kochen, Barbetrieb und Organisation mehr als vergessen gemacht.
Ich würde sagen, und ich glaube, alle die dabei waren werden mir zustimmen, daß die Begeisterung der Beiden zum Erfolg des Kurses ganz wesentlich beigetragen haben. Hier an dieser Stelle nocheinmal vielen Dank an Euch, Gil und Brigit…
Die Dozenten
Die Örtlichkeit war also gefunden, jetzt mußte das Personal zusammengetrommelt werden. Trefor Owen, der Organisator der North Wales Jazz Summer School mußte nicht wirklich überredet werden, als Dozent mitzumachen, er war sofort dabei. Ich kenne ihn schon von seinem Festival in Wrexham/Wales und wußte, daß er ein hervorragendes Unterrichtskonzept mitbringen würde. Auch die Teilnehmerschar fand sich im Laufe des Jahres ein und so warteten wir im Hotel Frigolet am 2. Oktober darauf, daß sich die 10 Teilnehmer des Kurses einfinden würden. Eigentlich hätten es 12 sein sollen, aber leider mußten zwei Aspiranten kurzfristig absagen. Sie bekommen nächstes Jahr ihre Chance.
Teilnehmer aus allen Himmelsrichtungen und aus Übersee
Und sie kamen aus allen Regionen Deutschlands, Österreich und sogar Frankreich: Armin Bonner aus Feldkirch, inzwischen ein alter Workshop-Veteran, Roland Jung aus Stuttgart, Novize, ebenso Lothar Windolf, der in Paris ansässig ist. Bernd v. Guerard vom Bodensee, auch Wiederholungstäter, genau wie Jürgen Seiler aus dem Sauerland. Daniel Emmerich aus Würtemberg war neu und spät dran, Manfred Hepp rollte mit dem Wohnmobil bis von Berlin herunter und Wolfgang Niemann, der auch für die Akustik Gitarre schreibt, kam mit Familie aus Münster. Thomas Glöckner ein echter Franke aus Nürnberg und Tobias Hepp, der in Köln Geigen baut, vervollständigten die Runde. Und nicht zu vergessen, mein Freund und Gastdozent Lenny Pogan aus New York City, der zum Shooting Star des Festivals wurde. Aber dazu später.
Disziplin und Laissez-faire
Nachdem uns das Restaurant hinausgeworfen hatte, wurde später am Abend noch versucht, den Kurs in zwei Gruppen einzuteilen. Aber nach welchen Gesichtspunkten sollte das geschen? Sowohl für Uli wie auch für mich war diese Situation neu. Diskussionen folgten, wer spielt wie, seit wann und wo. Trefor startete eine peinliche Befragung zum Verständnis der 16 25 Kadenz und alsbald war der erste Tetrapack Wein gelehrt (Wir waren auf Selbstversorgung angewiesen, denn die Küche war jetzt schon zu. Soviel zu den bescheidenen Pilgergruppen). Gottseidank hatte Uli schon Wein besorgt, den er selbstlos zur Verfügung stellte.
Schließlich fanden sich zwei Gruppen die sich in mittel und gut einteilten. Mit Lenny wurde vereinbart, daß er an den Nachmittagen jeweils zwei kleine Gruppen unterrichtet. Darauf waren alle gespannt, kann Lenny doch auf jahrzehntelange Erfahrung zurückblicken, die er in Broadwayorchestern und bei Tourneen mit diversen Stars, u. a. Harry Belafonte, gesammelt hatte. Ein Mann der Praxis, der weiß wo es langgeht.
So starteten dann jeden Tag die Kurse. Am Anfang war man noch pünktlich um zehn Uhr am Start. Im Laufe der Tage paßte sich die Disziplin aber langsam ans französische Laissez-faire an. Die Kurse verschoben sich nach hinten und die Pausen wurden länger. Störte aber keinen denn die Aufmerksamkeit der Teilnehmer in den Kursen hat darunter nicht gelitten, im Gegenteil! Sie hingen den Dozenten an den Lippen, keine Note wurde verpaßt. Begierig wurde mitnotiert und Trefors Arbeitsblätter durchgeackert. Den besonderen Kick fand Uli: Er verlegte den Unterricht an die frische Luft. Es gibt vor dem Bistro einen Picknickbereich, wo es sich wunderbar unter Pinien und im Sonnenschein musizieren ließ. Was für ein Genuß!
Der Tag sollte aber nicht nur mit Unterricht verbracht werden, das war die Grundidee des Kurses. Der Nachmittag blieb frei und jeder konnte die Zeit nach eigenem Gusto verbringen. Die mitgereisten Ehefrauen fingen damit sowieso schon am Vormittag an. Meistens wirbelten sie sportlich durchs Gelände. Die Umgebung des Klosters ist prädestiniert für Ausflüge mit Rad, zu Fuß und zu Pferd (am Wochende ging es dort ab wie im Wilden Westen, eine Reiterkarawane nach der anderen erhöte Gils Umsatz im Bistro). Die dazugehörigen Herren nützten aber trotzdem jeden Nachmittag abwechselnd Lennys Unterrichtsangebot. Aufmerksam lauschend ließen sie sich das Magic Arpeggio, Lennys Spezialität, beibringen. Das ist ein Lick, mit dem man sich bequem durch die Soli lavieren kann ohne daß es auffällt, daß einem gerade nichts einfällt.
Geniessen »wie Gott in Frankreich«
Zur gemeinsamen Freizeitgestaltung wurden zwei Fixtermine angeboten: Ein Weingutbesuch und ein Marktbesuch in St. Remy, ein Muß wie uns Uli versicherte. Das Weingut liegt in der Nähe von Le Baux und bietet prämierte Weiß-, Rose- und Rotweine an, sowie Olivenpaste und Marmeladen. Da hüpfte das Herz des Feinschmeckers. Fleißig leerte der Kurs dann auch die Regale.
Der Markt in St. Remy war ein Augenschmauß der besonderen Art. Alle Spezialitäten der Provence wurden feilgeboten. Das begann bei Messern der Firma L‘Aguiolle und führte über Kunsthandwerk zu allen nur denkbaren Viktualien, die das Land dort unten gedeihen läßt. Glücklich waren nun diejenigen, die vorausschauend Platz in ihrem Auto gelassen hatten und die Lücken nun mit Würsten, Käse, Tapenadegläsern oder Olivenöl ausfüllen konnten.
Jamsessions, »made in France«
Ein Jazz Gitarren Workshop soll nun natürlich nicht nur aus Unterricht bestehen, in dem die Teilnehmer nach dem Frontalprinzip mit neuem Wissen gefüttert werden. Es soll vielmehr auch die Gelegenheit genützt werden, die neu gelernten, oder schon vorhandenen, gitarristischen Fertigkeiten mit den anderen Kursteilnehmern im praktischen Spiel auszuprobieren. Dazu war angedacht, an den Abenden Sessions zu spielen. Der Gedanke war löblich aber am Anfang nicht so leicht in die Tat umzusetzen. Denn die Schüchternheit der Kursteilnehmer, sich in die freie musikalische Wildbahn zu wagen, überwog am Anfang doch noch die gute Absicht, die jeder mitgebracht hatte. So mußten denn an den ersten beiden Abenden die Profis das Heft, bzw. die Gitarre in die Hand nehmen. Es bildeten sich Trios mit Trefor, Uli, Lenny und Armin, die am Montag und Dienstag durch Thomas Konzmann, den Bassisten meines Swingquartetts Out of Nowhere, verstärkt wurden. Der legte seinen alljährlichen Ausflug in die Provence zum Glück für uns auf unsere Workshopwoche und unterstützte die Truppe mit seinem Kontrabass.
Es wurde schön musiziert, ein Standard jagte den anderen und es war eindrucksvoll zu beobachten, wie jeder der Gitarristen die Stücke mit seinem eigenen Stil interpretierte. Trefor mit seinem sehr kraftvollen Spiel, Uli elegant charmant, Armin flüssig routiniert und Lenny mit der Kunst der Auslassung. Mit diesem Stil und der Fähigkeit, so zu begleiten, daß immer genau die richtige Stimmung und der richtige Ton getroffen wurde, konnte Lenny jedes Stück gestalten ohne jedoch den Mitmusikern in die Quere zu kommen. Was für ein schönes Beispiel von musikalischem Geschmack, alle waren voll des Lobes über sein Spiel.
Es fügte sich aber am dritten Abend dann doch, daß auch die Teilnehmer das Plektrum schwangen. Das Abendessen war gelaufen, man saß mit vollem Bauch und Glas am Tisch und wartete darauf, wer nun den Abend musikalisch gestalten würde? Lange sah es so aus als ob dieser Abend vergehen sollte, ohne daß eine Gitarrensaite gezupft wurde. Bis dann Armin als erster mit seinem Instrument auftauchte und die anderen damit animierte, es ihm gleichzutun. Und flugs swingte die Bude in einer Megasession daß es eine wahre Freude war. Leider mußte das Bistro schon um 23 Uhr schließen, wohl eine Bedingung der katholischen Klosterführung. Das hielt die Gruppe aber nicht davon ab, in einem Nebenraum des Hotels weiterzujammen. Die letzten sollen nach zuverlässigen Berichten um 3 Uhr morgens ermattet den letzten Ton gezupft haben. Der nächste Abend verlief mehr oder weniger genauso und es war schön zu sehen, wie durch das gemeinsame Musizieren auch die Zurückhaltenderen in der Gruppe nun auftauten.
Das letzte Konzert vor der Welttournee
Mit dieser Übung war nun auch jeder vorbereitet, am Höhepunkt des Kurses, dem öffentlichen Konzert im Bistro am Freitagabend mitzumachen. Gil und Brigit hatten Werbung gemacht, Plakate gedruckt und verteilt und die Presse informiert. Der Reporter war jedoch in seiner Begeisterung über dieses einmalige Ereignis in der Provence etwas übereifrig, ließ er uns doch fast als Hochstapler erscheinen. Uli wurde von ihm als französisch sprechender Ko-Organisator interviewt, doch hatte der Pressemann nicht aufmerksam zugehört. Denn er übertrug die Tourdaten von Ulis Palastorchester kurzerhand auf unseren Kurs. So wurden wir im Zeitungsartikel damit angkündigt, nach der Woche in Frigolet als nächstes ein Konzert in der Carnegie-Hall zu geben und anschließend nach Japan weiterzutouren. Hach, wie schön wär das. Aber ich glaube, daß uns in New York und Tokio keiner vermissen wird.
Trotzdem wurde das Konzert ein voller Erfolg. Das Bistro war gerammelt voll und es hatten sich diverse Formationen der Kursteilnehmer gebildet, die den Abend gestalteten. Am Vortag wurden noch eifrig Stücke eingeprobt und dann in Trio- oder Duo-Besetzungen vorgetragen, von Uli in klassischer Conferencier-Manier moderiert.
Jeder Teilnehmer nutzte seine Chance, im Rampenlicht stehen zu können und sein Bestes zu geben. Die Nervosität war groß, und hat man nicht auch bei den Profis den einen oder anderen Aufregungsschweißtropfen fließen sehen? Trotzdem meisterte jeder seinen Auftritt mit Bravour und so endete der Abend mit einem gemeinsamen Blues, bei dem der komplette Kurs auf der Bühne stand und nochmal alles gab. Tosender Applaus war die Belohnung, der umso mehr auch dem Mut der weniger bühnenerfahrenen Kursteilnehmern galt, die sich trotz allen Lampenfiebers auf die Bühne wagten.
Abschied
So endete eine wunderschöne Woche im Kloster St. Michel de Frigolet. Und wer genau hinschaute, konnte nun auf den Gesichtern der Teilnehmer einen verzückten Gesichtsausdruck feststellen, der nicht nur durch die verzaubernde Atmosphäre der Provence hervorgerufen wurde. Keiner konnte vorher wissen, wie dieses erste Experiment, eine Woche Jazz Gitarrenuntericht in exotischer Umgebung, verlaufen würde. Aber ich glaube, alle Erwartungen der Organisatoren und der Teilnehmer wurden aufs angenehmste erfüllt. Alle die dabei waren, konnten mit einem reichen Schatz von neuen Erfahrungen nach Hause fahren, sei es musikalischer oder anderer Art. Die heitere und sonnige Stimmung auf dem Gelände des Klosters St. Michel de Frigolet hat dafür gesorgt, daß in der Gruppe der Kursteilnehmer eine gelassene Atmosphäre entstand, in der sich jeder wohlfühlen konnte und offen war für alles Neue oder Unbekannte, das der Kurs bot.
Danke
Darum bleibt mir jetzt nur noch, Euch allen die Ihr dabeigewesen seid, im Namen von Uli und mir Danke zu sagen für dieses schöne Erlebnis und hoffe, daß der voraussichtliche Kurs im nächsten Jahr ein ebensolcher Erfolg wird.
Stefan Sonntag