„Guitarded“ –
Auf dem Weg ins Elysium
Definition
Laut Wikipedia beschreibt „guitarded“ (Adjektiv) den Zustand einer Person, die vollständig im Gitarrenspiel aufgeht und auch sonst ihren kompletten Lebensplan auf die Gitarre und das Spielen derselben ausrichtet. Nicht selten bedeutet es auch, einen großen Teil oder das ganze Vermögen in Gitarrenobjekte und zugehörige Teile zu investieren, um daraus Glück, Zufriedenheit und Seelenheil zu ziehen. Oft werden dadurch Sozialkontakte teilweise oder ganz aufgegeben oder bis zur kompletten Verschrumpelung vernachlässigt.
Nein, es gibt natürlich keinen derartigen Eintrag in Wikipedia, er ist frei erfunden. Dieser Begriff stammt aus dem Munde der Ehefrau unseres Workshop-Teilnehmers aus Kanada. Mit diesem Bonmot beschreibt sie die Gitarristengruppe, die sich im April 2013 zum ersten Mal im Schlosshotel Korb bei Bozen traf, auf zutreffendste Weise. Teilnehmende waren in diversen Stadien des oben genannten Zustands vertreten.
Ein Häuflein Gitarrenverrückter versammelte sich also dort in Begleitung einiger Sängerinnen, um in dieser Enklave der Leidenschaft des Jazzgitarrenspiels bzw. Jazzgesangs zu frönen. Angeleitet wurden diese Sinnsuchenden auf ihrem Weg ins Elysium von den Jazzgitarrenmeistern Howard Alden (New York) und seinem kongenialen Duopartner Helmut Nieberle (Regensburg). Howard Aldens fabelhafte Gesangspartnerin Jeanne Gies (New York) war als Dozentin für die Gruppe der Sängerinnen engagiert.
Entstehungsgeschichte
Der traditionelle Frühjahrsworkshop von Sonntag Jazzgitarren fand die letzten zehn (!) Jahre regelmäßig mit Helmut Nieberle in Augsburg statt. Mein Grafiker und diesmal auch Ko-Koordinator Dietmar Liehr gab den entscheidenden Impuls für die Neustrukturierung des Workshops.
Wir verlängerten die Dauer von ehemals einem Wochenende auf vier Tage. Der Inhalt sollte insofern noch weiter aufgewertet werden, als dass ein zweiter Gitarrendozent plus eine Gesangsdozentin dazu gebucht werden sollten. Die Wahl der Örtlichkeit fiel nach anfänglich schwieriger Suche auf das wunderschön gelegene Schlosshotel Korb oberhalb Bozens.
Dozententeam
Es war nicht schwer, die drei Dozenten zu diesem Ausflug nach Südtirol zu bewegen. Helmut Nieberle war ohnehin gesetzt als Dozent für Augsburg, und als Feinschmecker war er leicht zu locken mit der Aussicht auf exquisite Küche. Die Möglichkeit, seinen Duo-Partner Howard Alden im Dozententeam zu treffen, ließ ihn sofort zustimmen.
Der Gesangsgruppe war auch schnell eine Leiterin gegeben, da Howard Alden regelmäßig mit Jeanne Gies zusammenarbeitet. Sie hatte sich auch schon beim Südfrankreich-Kurs 2011 als hervorragende Lehrerin bewährt.
Aus aller Herren Länder …
Den Kurs hätte man also leicht als „international“ ausschreiben können. Abgesehen vom deutschsprachigen Raum reisten zwei Teilnehmer bis aus Nordamerika nach Südtirol an: Der oben erwähnte Kanadier und ein Teilnehmer aus Indiana. Solch ein Engagement, das die Mühsal einer derart langen Reise ignoriert, freut uns natürlich besonders!
Die vier Kurstage vergingen unglaublich rasant. Es heißt, dass der Mensch im zunehmenden Alter die Zeit als immer schneller ablaufend empfinde. Wenn dem so ist, dann wirkten die inspirierenden und entspannten Unterrichtseinheiten, die Sessions, das erlesene Ambiente und die kulinarischen Köstlichkeiten des Hotels wie ein Time Warp in der Rocky Horror Picture Show (das ganze hier jedoch mit Jazzmusik als Soundtrack).
Let's Do The Time Warp Again!
Wie in der Rocky Horror Picture Show ist das Hotel ebenfalls in einer Burg aus dem 13. Jahrhundert untergebracht. Einem Adlerhorst gleich thront es hoch über dem Etschtal. Das Panorama davor, links in Meran beginnend über Bozen nach rechts bis fast nach Trient reichend und mit den Dolomiten im Hintergrund, wirkt wie eine gigantische Breitbildleinwand in 3D. Überwältigend!
Zu unserem Glück jedoch sind die Betreiber, Ruth und Fritz Dellago, weit entfernt von einem Frank‘n‘Furter. Mit der Familie Dellago und ihrem Team („die Lieben Hotelgeister“, Zitat Webseite) konnten wir uns keine herzlicheren und wohlwollenderen Gastgeber wünschen.
Ich war im Vorfeld des Kurses etwas nervös, ob die Hausgeister sich denn bewusst waren, wen sie sich da ins Haus holen. Würden die Sessions oder Gitarristen, die sich gerne im Hotelbereich verteilen, um ihrer ungehemmten Spielfreude nachzugehen, den anderen Hotelgästen auf die Nerven gehen? Ganz im Gegenteil! Ruth und Fritz Dellago zeigten sich hingerissen von unserer Musik. Wenn jeden Abend nach dem Dinner die Musiker in die Saiten griffen, setzten sie sich mit den anderen Hotelgästen begeistert zu uns und selbst die Servicekräfte swingten mit. An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an das bei aller Professionalität stets ungezwungen freundliche Team des Hotels!
Wohlfühloase Schloss-Hotel Korb
Die alte Burg und die jüngeren Anbauten sind mit viel Liebe und Sinn für Details eingerichtet. Schöne Antiquitäten sind dezent in den Räumen verteilt und lassen die jahrhundertealte Geschichte dieses Gebäudes spüren. Die Gästezimmer verbreiten eine große Behaglichkeit, und die Besitzer haben den Aufwand nicht gescheut, jedes davon individuell einzurichten. Die allgemeinen Räume, wie Lobby oder der Restaurantbereich, wirken durch ihre geschmackvolle Einrichtung gediegen gemütlich. Man betritt das Haus und spürt sofort, dass man hier gut aufgehoben ist und sich wohlfühlen wird.
Gaumenfreuden
Apropos Restaurant: Die Küche des Hotels Korb ist – gelinde gesagt – eine Wucht. Zum Frühstück wird ein opulentes Buffet mit vielen Viktualien aus der Region aufgefahren. Alle Speisen sind von vorzüglicher Güte und – das Auge isst mit – liebevoll drapiert. Dasselbe gilt für das Abendessen. Fünf Gänge werden serviert, jeder ein Genuss für sich. Die Qualität genügt Gourmetansprüchen. Spektakulär ist das Vorspeisenbuffet – ich möchte hier nur stellvertretend für alle Gaumenfreuden das Oktopus-Carpaccio oder die Südtiroler Schinkenauswahl nennen. Flankiert wurden die Speisen vom Wein aus dem familieneigenen Anbau. Ein zweiter Gang zum Buffet ließ sich selten vermeiden, um all die Leckereien durchzuprobieren.
It's Show Time!
Vom Abendessen ging es jeden Abend direkt in die Session über. Umstandslos wurden die Instrumente in den Speisesaal geholt und eingezählt. Durch die Anwesenheit von Profis und Halbprofis unter den Teilnehmern hatte das Musizieren durchgehend hohes Niveau. Aber auch die Amateure ließen sich nicht lumpen und gaben ihre Stücke zum Besten. Ein Ohrenschmaus war es, wenn die Dozenten selbst zur Gitarre griffen, bzw. ihre Stimme erklingen ließen.
Howard Alden und Helmut Nieberle sind musikalisch wie füreinander geschaffen. Wenn die Soli wechseln gibt es keinen Bruch, sie spielen wie aus einem Guss. Sie werfen sich die musikalischen Bälle zu und spielen sie hin und her, so dass man sich fragt, wo sie all die Ideen und lustigen Einfälle herbekommen. Ihre überbordende Spielfreude lässt befürchten, dass sie sich ohne Gitarre unter dem Arm ständig unwohl fühlen würden.
Jeanne Gies steuerte gelungene Interpretationen von Standards bei. Ihr Gesang, oder auch der der anderen Sängerinnen, ließ den Ohren eine schöne Abwechslung zukommen. Die gesungenen Stücke erinnerten daran, was die Standards ursprünglich waren: Lieder, oft aus Broadway-Shows übernommen, die ursprünglich zur Unterhaltung komponiert waren und erst später von den Jazzern in Beschlag genommen wurden. Ein ganz charmanter Moment ergab sich, als eine der Anfängerinnen den Mut fand, ohne Gesangsbegleitung, zu singen. Sie hielt der Aufregung tapfer stand und traute sich, vor allen Zuhörern zu exponieren. Bei solchen Auftritten denke ich mir: Mission accomplished, Ziel erreicht! Auch die ungeübteren Teilnehmer machten Musik und spielten sie einem Publikum vor.
Als Gitarrenbauer möchte ich hier noch anmerken, dass ich Howard und Helmut dankbar bin, die akustische Spielweise bei den Sessions zu pflegen. Also unverstärkt, nur dem natürlichen Klang einer gut gebauten Archtop vertrauend. Bei dieser Art zu Spielen kommen die Klangqualitäten dieser Gitarren am schönsten zur Geltung! Das ist – in meinen Ohren –die angenehmste Art, Musik zu hören.
Serious fun – then serious work!
Schließlich darf ich noch vom eigentlichen Inhalt des Workshops berichten, den Unterrichtsstunden. Thema des Kurses war das Duo-Spielen, bzw. die Begleitung eines Solisten. In unserem Fall also die Begleitung von Sängern. Alle drei Dozenten praktizieren seit Jahren die Form des Duo-Auftritts und waren insofern bestens geeignet dieses Thema zu vermitteln. Howard Alden spielt regelmäßig Duo-Gigs, unter anderem mit Jeanne Gies, und auch Helmut Nieberle ist oft in Duo/Trio-Konstellation zu hören.
Ursprünglich war es geplant, die Teilnehmer in zwei Gitarren- und eine Gesangsgruppe aufzuteilen, die man im Lauf des Kurses dann zum Duo-Spielen zusammenbringen wollte. Es ergab sich aber zunächst, dass die Sängerinnen wie vorgesehen ihre Stunden abhielten und auch die Gitarristen für sich begannen. Das hatte den Vorteil, dass sich Helmut und Howard, wie beim gemeinsamen Musizieren, die Bälle zuspielen konnten: Hatte einer eine Idee, griff sie der andere auf und fügte ein weitere Facette hinzu. Ein wundervolles Dozentenduo!
Später stellte sich allerdings heraus, dass das gitarristische Niveau der Teilnehmer doch zu heterogen war, so dass es Sinn machte, zwei Gruppen zu bilden. Helmut kümmerte sich um die ungeübteren Teilnehmer, denen er Basics, wie Intros und Outros, nahebrachte und sie viel spielen ließ, um locker zu werden.
Interplay!
Howard hatte die fortgeschrittene Gruppe, zu denen sich in der zweiten Hälfte der Unterrichtsstunden die Sängerinnen gesellten. In dieser Formation wurde dann konkret das Zusammenspiel geübt. Es wurden nicht nur zusammen Stücke erarbeitet, sondern auch besprochen, was zu tun und zu lassen ist, wenn ein Gitarrist eine/n Sänger/in begleitet. Etwa nach dem Motto: Mein Duopartner, das unbekannte Wesen. Zum Beispiel ist es wichtig, dass Sänger die Tonart ihres Stückes kennen müssen und diese rechtzeitig den Begleiter wissen lassen. Oder der Gitarrist muss sich darum kümmern, dem Sänger einen geeigneten Einstieg in das Stück zu geben, um den ersten Ton der Melodie zu finden. Summa summarum bekamen die Teilnehmer reichlich Stoff angeboten, der für mindestens einige Monate ausreicht, bis er verinnerlicht sein wird.
We are the Champions!
Alle Teilnehmer zeigten sich sehr angetan von den Vorschlägen der Dozenten und hatten am Abend des letzten Kurstags Gelegenheit, beim öffentlichen Konzert ihre Inspirationen und Lernerfolge zum Besten zu geben. Das Hotel verfügt über einen gediegenen Tagungsraum, der ein sehr angenehmes Ambiente und exakt die richtige Größe für das Konzert hatte.
Eröffnet wurde der Abend mit einem Tutti-Auftritt der Gitarristen mit dem Charlie-Christian-Klassiker „Air Mail Special“. Der weitere Verlauf wurde von kleineren Duo- und Trio-Formationen bestritten, bei denen dann auch die Sängerinnen die Gelegenheit hatten, ihre Workshopergebnisse zu präsentieren. Es wurde ein bunter Abend, in dessen Ablauf viele verschiedene musikalische Stilrichtungen dargeboten wurden: Von klassischen Jazzstücken wie „Whisper Not“ oder „Just One Of Those Things“ über brasilianischen Chorinho zu Country, von Singer/Songwriter (Leonard Cohen) zurück zu Swing und Jazz wie „Satin Doll“, „Lullabye of Birdland“ oder „Undecided“. Es war für alle Beteiligten – vor und auf der Bühne – ein wunderbar vergnüglicher Abend.
Bye Bye Blues!
Dank dieser rundum gelungenen Tage wurde noch vor Ort mit Ruth und Fritz Dellago beschlossen, unseren Frühjahrsworkshop nächstes Jahr wieder in ihrem wunderschönen Schlosshotel abzuhalten. Die Workshopgruppe hatte es geschafft – nichts anderes hätte ich erwartet – sich so vorteilhaft zu präsentieren, so dass die Dellagos uns 2014 wieder mit offenen Armen empfangen wollen.
Ruth Dellago wünschte sich beim Abschiednehmen: Ach könnten wir doch den ganzen Sommer über dableiben und das Haus beschallen (liebend gerne, Frau Dellago! An uns läge es nicht …). Nächstes Jahr gerne auch mit noch mehr Teilnehmern, zum Beispiel auch mit italienischen, die wir vermisst hatten und die wir mit diesem Abschlussbericht nun hoffentlich anlocken. Wir freuen uns auf guitarded and enthusiastic singers, oder solche, die es werden wollen.
Und wer weiß, vielleicht schreibt dann auch jemand einen Wikipediaeintrag …
Stefan Sonntag
Fotos: Dietmar Liehr, Katinka Molde, Stefan Sonntag,
Schloß Hotel Korb, Dorothea Schwarzhaupt
Links