Auf der Suche nach dem
Mysterium von Bozen
Große Fragen
Als ich am Tag nach der Rückkehr vom Workshop 2014 in Bozen mühsam versuchte in den Alltag zurück zu finden, fragte ich mich wieder mal: Woran liegt es, wenn sich ein Haufen wildfremder Menschen zusammentut, die sich vorher noch nie getroffen hatten, die einem gemeinsamen Hobby frönen und die ein paar Tage später alle auseinandergehen mit dem Gefühl, sich schon lange zu kennen? Was passiert während dieses Treffens, wo man sich hingebungsvoll mit einem herrlich zweckfreien Tun beschäftigt und sich schließlich das Gefühl verbreitet, hey, tolle Atmosphäre hier und hinterher will eigentlich keiner heimfahren? Nach über zehn Jahren Workshop organisieren grüble ich immer wieder über diese Fragen nach. Wie kann man dieses Mysterium erklären, daß Musik an sich und Musik machen wie aus dem Nichts gute Stimmung macht, die Seele glättet und dabei Menschen zusammenführt?
Angewandte Physik
Ist es eine physikalisch-chemische Reaktion, die passiert wenn Menschen zusammen musizieren?
Die Ursache der Erzeugung ist eigentlich eine ganz schlichte: Man versetzt Holzkisten mit Hilfe von Stahldrähten und Plastikplättchen in Bewegung oder bringt zwei Hautlappen durch heftiges Ausatmen zum Schwingen. Damit schubst man Luftmoleküle an, die sich dann in bestimmten Amplituden in Bewegung setzen. Die dabei entstandenen Frequenzen prallen auf Zellhaufen und bringen diese wiederum in Schwingung. Die Zellen reagieren auf diese Schwingungen indem sie Hormone, im besten Fall Glückshormone produzieren. Dem Zellhaufen gefällt das und er fühlt sich wohl!
Spannung-Entspannung
Jedoch, reicht das als Erklärung? Ich glaube es muß noch mehr geben. Zum Beispiel das Prinzip von Spannung und Entspannung.
In einer Bühnensituation gerät der Musiker durch Selbstzweifel oft in eine Lage, in der er sich frägt ob er das kommende Stück meistern wird oder nicht. Seine Anspannung ist groß, aber hinterher, nach geglückter Aufführung, ist die Entspannung umso größer und zur Belohnung fühlt sich der Musiker gut.
Es ist erstaunlich zu sehen, daß dieser Vorgang auch immer wieder während der Kurse passiert. Die Unterrichtsstunden sind dazu da, Neues zu lernen und Fehler zu verbessern. Wenn es zum Vorspielen während des Gitarrenunterrichts kommt, empfinden die ungeübteren Teilnehmer das oft als Exponierung, ähnlich wie eine Bühnensituation. Dabei haben sie nichts zu verlieren, sie können nur gewinnen. Der Fehler der gerade gemacht worden ist, wird nie mehr passieren.
In der Gesangsgruppe ist diese Erfahrung beinahe noch intensiver. Singen ist eine unmittelbarere Öffnung der Persönlichkeit als Gitarre spielen, wo der musikalische Ausdruck mechanisch mit Hilfe eines Objektes passiert. In der Gesangsklasse ging es vereinzelt recht emotional zu, je nach Persönlichkeit der Sängerinnen. Dank der einfühlsamen und kompetenten Art von Dozentin Jeanne Gies aber konnten die Teilnehmerinnen diese Emotionen schnell in eine Verbesserung der musikalischen Gestaltung umsetzen.
An dieser Stelle muß auch noch der Einsatz unseres Gesangsbegleiters John Paiva an der Gitarre hervorgehoben werden. Unermüdlich stand er während der Kurstage von früh bis spät der Gesangsgruppe zur Verfügung. Mit seiner jahrzentelangen Erfahrung im Musikgeschäft half er den Sängerinnen über einige musikalische Hürden und unterstützte mit seiner Gitarrenbegleitung elegant und effektiv.
Mikrochemie
Wer sich in die Jamsession am Abend begibt, kann ähnliche Erfahrungen machen. Wenn die Dozenten Helmut Nieberle und Howard Alden die Session eröffnen, liegt die Latte hoch. Die beiden spielen auf höchstem Niveau, es ist eine Freude ihnen zu zuhören. Allerdings gehört dann für den Amateurgitarristen ein Stück Mut dazu, sich dazu zu gesellen und mit zu jammen. Glücklicherweise schaffen es die beiden, keine Leistungsschau entstehen zu lassen, weil sie mit Humor und Einfühlungsvermögen jeden Mitspieler schön klingen lassen. Bei der Begleitung von Sängern ist das besonders wichtig, weil, wie oben schon erwähnt, der Gesangspart auf einem viel fragileren Fundament steht.
Nun ist meine Schlußfolgerung, daß all diese kleinen Spannungsfelder, dieses Aufbauen und Abbauen von Aufregung, eine spezielle Mikrochemie unter den Kursteilnehmern entstehen läßt. Es ist unerheblich woher die Leute kommen (wir hatten Teilnehmer aus den USA und England dabei. Und beinahe auch aus Brasilien, wäre er nicht kurz vor der Reise krank geworden). Die Konzentration auf eine Leidenschaft, zusammen zu Musizieren, und die Bereitschaft, sich beim Musizieren persönlich verwundbar zu machen, führt zu einer Atmosphäre der gegenseitigen Wertschätzung und des Respekts voreinander.
Das Labor
Ein dritter Aspekt der meines Erachtens zum Mysterium beiträgt, ist sicherlich auch das Ambiente. Das Schloß Hotel Korb ist ein Ort, der Phantasien freilegen kann. Die Hotelbetreiber Ruth und Fritz Dellago haben unübersehbar einen Sinn für Ästhetik und Schönheit, der sich in der Gestaltung und Führung des Hotels manifestiert. Wer dabei gewesen ist und das Hotel erlebt hat, wird bestätigen, daß ein Platz wie dieser wie dafür geschaffen ist, den Alltag auszublenden und den Geist schweifen zu lassen. Mit Betreten des Hotelgeländes begibt man sich in ein Paralleluniversum und fühlt sich nach einigen Tagen wie in einer Zeitblase, in der nichts anderes zählt als sich miteinander wohl zu fühlen und Musik zu machen.
Rückblickend glaube ich feststellen zu dürfen, auch unsere Gastgeber Ruth und Fritz Dellago mit ihren Hotelgeistern haben sich vom Zauber unserer Musik anstecken lassen.
Auf Wiedersehen in 2015
Ich hoffe daß meine Ausführungen Erklärung genug sind und den Kern der Sache treffen. Tatsache ist jedenfalls, daß alle Mitwirkenden den Workshop für Jazzgitarre und Gesang auf Schloß Hotel Korb mit einem breiten Grinsen im Gesicht verlassen haben. Das Konzept, Gitarristen und Sänger zusammen zu bringen, und die Kunst des Duospiels zu verfeinern, scheint zu greifen. Die leuchtenden Augen am Ende des Workshops sind eine große Belohnung und Antrieb für die Organisation des nächsten Workshops! Das Organisationsteam freut sich schon darauf, die Teilnehmer zum 3. Internationalen Workshop für Jazzgitarre und Gesang auf Schloß Hotel Korb vom 8.-11. April 2015 begrüßen zu dürfen.